In der ersten Nacht in Baden bin ich mit Jetlag aufgewacht, der Mond war wie ein Zeichen.
Astrid Schaffner, Schamanismus, Homöopathie
Astrid hat die Wand ihres Wohnzimmers gestrichen, weil es kein Fenster gibt. Nach einem Räucherritual mit Salbei führt sie ihre Gäste ins Haus. Mit Decken aus der Schwitzhütte im Garten macht sie auf dem Boden ein Bett. Wenn sie und ihr:e Besucher:in sich wohl fühlen, legen sie sich hin und halten sich an den Händen. Während der Sitzung enthüllt Astrid das spirituelle Krafttier ihrer Besuchenden. Ich wollte mein Tier kennenlernen, aber auch Fotos machen. Es fühlte sich falsch an, beides zu tun.
Der Garten der Schamanin Astrid Schaffner.
Gaby Hintermann, Mediales Tarot
Das Atelier der Tarotkartenlegerin Gaby Hintermann.
Gaby sagte mir, ich solle die neun Stäbe loslassen und die Königin der Kelche umarmen.
Neun Stäbe: kampfmüde, Wächter, eigensinnig, müde, krank, männlich
Königin der Kelche: emotionale Tiefe, Intuition, Mitgefühl, Heilung, weiblich
Madlaina Janett, Hebamme, Ayurveda
Ich traf Madlaina, eine ayurvedische Heilerin und Hebamme, auf dem Friedhof gegenüber ihres Hauses. Sie erzählte mir, dass sie nach dem Tod ihres Vaters einen Schamanen aufgesucht und erfahren habe, dass ihr spirituelles Krafttier ein Elefant sei.
Madlaina erklärt, dass es im Ayurveda drei Elemente (Doshas) gibt, die wie Persönlichkeitstypen funktionieren. Sie benutzte Prominente als Analogien:
Vata: Luft (Amy Winehouse)
Pitta: Feuer (Heidi Klum)
Kapha: Erde (Seth Rogen)
Madlaina sagt, dass sie normalerweise schnell herausfinden kann, welches Dosha jemand hat. Sie dachte, ich wäre eine Mischung aus Vita und Kapha.
Die drei Elemente stehen auch für unterschiedliche Lebensphasen.
Vata: alt
Pitta: Mitte
Kapha: jung
Madlaina und ich treten beide in das Vata-Stadium ein.
Als ich mich auf das Porträt von Madlaina vorbereitete, landete eine Krähe in der Nähe, aber sie flog weg, bevor ich sie fotografieren konnte. Nachdem Madlaina weg war, suchte ich die Krähe.
Madlaina Janett, Friedhof Sihlfeld.
Carmen Rothmayr, Waldbaden
Carmen Rothmayr nahm mich mit auf den Zürichberg, um mir Shinrin-Yoku (Waldbaden) zu zeigen. Diese Achtsamkeitspraxis wurde in Japan als Reaktion auf den Technologieboom der 1990er Jahre entwickelt. Während der vierstündigen geführten Sitzungen legen die Teilnehmer:innen ihre elektronischen Geräte weg und hören auf zu sprechen. Anstatt Kameras zu benutzen, weist Carmen die Badenden an, Papierfensterrahmen zu benutzen, um «Bilder» zu teilen.
Emma Kunz Grotte
Emma Kunz (1882−1963) entdeckte schon als Kind Telepathie und übersinnliche Kräfte. Mit 18 Jahren begann sie, ihre ersten Patient:innen zu heilen und in Schulhefte zu zeichnen. Sie begann geometrische Zeichnungen anzufertigen, die Visionen von Energiefeldern darstellten, anhand derer sie Diagnosen formulieren konnte.
In den vierziger Jahren begann Kunz mit der Radiästhesie, einer Zeichentechnik, bei der sie mit Hilfe eines Pendels grossformatige Zeichnungen auf Millimeterpapier anfertigte. Kunz arbeitete kontinuierlich an einer Zeichnung, dieser Prozess konnte sich über 24 Stunden hinziehen.
1941 entdeckte Kunz in einem römischen Steinbruch den Heilstein Aion A. Der Ort ist heute als Emma-Kunz-Grotte bekannt.
Emma-Kunz-Grotte
Ich bin zum Zürichberg zurückgekehrt, um weitere Ansichten zu rahmen, aber ich frage mich, ob es nicht besser wäre, sie zu verbergen.
Jeannine Blum, Heilkräuterkunde
Die Wurzeln der Alraune ähneln dem menschlichen Körper. Seit Jahrhunderten wird die Pflanze mit Mythen und Magie in Verbindung gebracht. Eine Legende besagt, dass die Alraune, wenn sie ausgerissen wird, einen Schrei ausstösst, der jeden lähmt, der ihn hört. Früher wurde die Alraune als Betäubungsmittel und Aphrodisiakum verwendet, doch sie ist sehr giftig und kann Halluzinationen, Krämpfe, Erstickungsanfälle und Tod verursachen.
Jeannine Blum, Naturheilpraktikerin, Kloster Wettingen.
Dorin Ritzmann, Alternativmedizin
Dorin ist Hausärztin und arbeitet mit traditionellen, nicht-invasiven Methoden wie Phytotherapie (Kräutermedizin), manueller Medizin (Einsatz der Hände zur Diagnose und Behandlung) und medizinischer Hypnose.
Im Garten vor ihrer Praxis hält Dorin gerettete Schildkröten. Die Schildkröte, die ich fotografiert habe, ist über sechzig Jahre alt, wird aber wahrscheinlich noch doppelt so lange leben.
Neben ihrer Praxis und ihrer Gartenarbeit ist Dorin eine ausgezeichnete Fotografin von Pflanzen und Bäumen, und sie hat auch einen Abstrich von meiner Wange gemacht und meine Zellen fotografiert.
Dr. med. Dorin Ritzmann
Dorin gab mir Ginkgo-Tropfen gegen Tinnitus.
Lucas Arnold, Hypnose
Ein Hypnotiseur lud mich zu einem Treffen in einem Waldpark bei Baden ein. Während unseres Spaziergangs beschrieb er den langwierigen Prozess, durch den er seine Klienten führt. Nach einer Weile wurde mir klar, dass der Wald nur ein Treffpunkt war und er nicht die Absicht hatte, mich zu hypnotisieren. Ich war enttäuscht, genoss aber den Spaziergang.
Der Hypnotiseur ist ein Anhänger der Logik und fühlte sich unwohl, als er mit Esoterik in Verbindung gebracht wurde. Ich sagte ihm, dass ich nicht unbedingt glaube, dass es mystische Kräfte waren, die uns zu diesem runden, moosbewachsenen Felsen geführt haben, aber wenn ich Kunst mache, verhalte ich mich so, als ob es so wäre. Ich habe mich entschieden, anstelle des Hypnotiseurs den Felsen zu fotografieren.
Mariacristina Teot, Interdimensionale Kommunikation
Während meiner interdimensionalen Kommunikationssitzung mit Mariacristina Teot sagte sie mir, dass es wichtig sei, mehr Zeit in physischem Kontakt mit der Natur zu verbringen, insbesondere mit Bäumen. Nach der Sitzung in ihrem Büro gingen wir in einen Park, um Fotos zu machen. Ich hatte auf Mariacristinas Instagram gesehen, dass sie gerne Selfies mit speziellen Sonnenreflexionen im Hintergrund macht. Es war zu bewölkt, aber ich habe mein Bestes gegeben, um die Sonne aufs Bild zu bekommen.
Miriam Meyer, Meditation
Meine Assistentin Beatrice Signorello wurde zu Mirjam Meyers Meditationskurs für Frauen eingeladen. Der Kurs war auf Deutsch und ich fühlte mich nicht so richtig dazugehörig. Später habe ich Bea porträtiert.
Andreas Tröndle, 5‑Rhythmen-Tanz; Anina Gmür, Permakultur
Andreas Tröndle und Anina Gmür leben auf einem Bauernhof, wo sie ihre Leidenschaft für den 5‑Rhythmen-Tanz und die Permakultur verbinden. Der 5‑Rhythmen-Tanz ist eine Bewegungsmeditation aus den 1970er Jahren, die Schamanismus, östliche Philosophie, Gestalttherapie, transpersonale Psychologie und Mystik verbindet.
Tröndle und Gmür tanzen gerne im Freien zu Musik, die sie über Kopfhörer hören. Ich habe mich entschieden, beim Fotografieren nicht zuzuhören. Ich frage mich, warum mir die Bilder besser gefallen, die ich gemacht habe, als die beiden noch nicht eng miteinander tanzten.
Corinne Breitenstein, Medium
Corinne Breitenstein ist ein Medium, das mit Verstorbenen kommuniziert. Sie sagte mir, dass sie nicht mit mir arbeiten könne, aber sie bot Bea eine Sitzung an.
Ich sitze im Flieger von Zürich nach Las Vegas. Meine Zeit im Limmattal erscheint mir wie ein Traum. Ich kam mit der Hoffnung auf körperliche und geistige Verjüngung. Es hat geklappt, aber nicht so, wie ich es mir erhofft hatte. Statt mich vegan zu ernähren, ass ich ständig Schnitzel. Statt mich Hellsehern und Schamanen hinzugeben, habe ich Digitalfotos gemacht. Aber ich fühle mich kreativ erfrischt. Nachdem ich meine Reise als von unsichtbaren Mächten gelenkt behandelt hatte, fand ich Zeichen, die so glänzend und hell waren wie goldene Münzen in einem Märchen.
Doch was bedeuten diese Zeichen?
Wenn ich mir das seltsame Foto von mir im Mondlicht ansehe, das ich bei meiner Ankunft gemacht habe, dann sehe ich keinen Menschen, der den Mond betrachtet, sondern einen Fotografen, der in seine Kamera schaut. Aber ist das so verschieden? Ob man nun als Mystiker in den Himmel schaut oder als selbstverliebter Künstler in den Spiegel – man sucht nach einer Verbindung.
Bea und ich sprachen über John Szarkowskis Buch Mirrors and windows, in dem er schreibt: «In der zeitgenössischen Fotografie gibt es eine grundlegende Dichotomie zwischen denjenigen, die Fotografie als ein Mittel der Selbstdarstellung betrachten, und denjenigen, die sie als eine Methode der Erforschung betrachten. Die Absicht dieser Analyse war es nicht, die Fotografie in zwei Teile zu spalten, sondern im Gegenteil, ein Kontinuum anzudeuten, eine einzige Achse mit zwei Polen.»
Bea und ich haben unsere eigenen Positionen auf dieser Achse festgehalten. Bea ist promovierte Mathematikerin und fotografiert eher von der Fensterseite aus. Ich versuche, aus dem Fenster zu schauen, aber ich entkomme selten meinem eigenen Spiegelbild im Glas:
Spiegel (Ausdruck)
Fenster (Erkundung)
Im Limmattal fand ich viele Zeichen, aber immer waren diese glänzenden Münzen kleine Spiegel. Ich schaute den Leuten in die Augen und sah mich in ihren Pupillen.
Vielleicht werde ich eines Tages ohne meine Kamera in die Schweiz zurückkehren. Vielleicht werde ich sogar eine Augenbinde tragen, anstatt die Welt durch Spiegel und Fenster zu betrachten. Ich werde die Hand der Schamanin halten, die Königin der Kelche umarmen und mit dem Wald kommunizieren. Statt einem anderen Menschen in die Augen zu schauen, werde ich ihn festhalten und tanzen.